Es ist trist und grau und es regnet. Eine viertel Stunde nachdem mein Zug Hannover hinter sich gelassen hatte, begann es in Strömen zu regnen. In Oldenburg war keine Besserung in Sicht, in Bad Zwischenahn angekommen: Bindfäden. So stellt man sich das nicht vor, aber Regen gibt es hier häufig. Hier im Ammerland am Zwischenahner Meer, das eigentlich nur ein großer schlammiger See ist.
Ich bin zu Besuch bei meiner Schwester, die hier lebt und arbeitet. In der Gastronomie. Man könnte sagen, dass die Gegend – übrigens handelt es sich um einen (oder mehrer?) Kurorte – vor allem aus zwei Gruppen von Menschen besteht. Dienstleister und Dienstleistungsnehmer. Bei den erstgenannten handelt es sich um Gastronomen, Kranken- und Altenpfleger, evtl. sind auch ein paar Verkäufer dabei. Letztere – übrigens die überwältigende Mehrzahl – sind alte Menschen. Rolatorführerscheinbesitzer, E-Bike-Fahrer und jede Menge knausrige Rentner. In Dresden staune ich jeden Tag über die unmengen Kinderwagen und Schwangeren, hier landet man nach zehn Minuten Rolatoren zählen im zweistelligen Bereich.
Auch wenn das Wetter nicht mitspielt ist die Gegend für sich genommen sehr schön. Sehr ‘platt’, sowie der Dialekt, den hier manche noch sprechen. Voller Baumschulen und liebevoll gepflegter und ein wenig spießbürgerlicher Gärten. Ein wenig rau, wie die Menschen, die ein lautes “Moin!” schon für einen angemessen freundlichen Gruß halten.
Vom Essen verstehen sie nichts oder nicht viel, aber vielleicht liegt das daran, dass die Zeit mit den älteren Bewohnern zusammen stehen geblieben zu sein scheint – in den 80ern oder 70ern. Davon zeugen Hoteleinrichtungen ebenso wie Speisekarten, die ohne Schnitzel ihre Existenzberechtigung verlieren. Alle kaufen hier auch fleißig Aal in der irrigen Annahme er würde aus dem Bad Zwischenahner Meer stammen. Dabei ist dor das Fischen gar nicht mehr erlaubt. Aal gibt es auch im Ammerland nur aus Polen.
Vom frisischen Tee bin ich ein großer Fan. Wenn die Menschen hier von etwas Ahnung haben, dann vom schwarzen Tee. Kännchen und Tässchen mit Milch oder Sahne mit dicken Zuckerbrocken (die sogenannten “Kluntches”), nie würde man hier nur eine läppische Tasse mit billigem Teebeutel bekommen! Wir benötigten ihn umso dringender, denn der Wind war kalt und das Wetter wie gesagt lausig.
Die Welt meiner Schwester die Welt der Dienstleister, die der Gastronomen: Eine Paralellwelt. Menschen, die ihre Stammkneipe nach dem sprichwörtlichen “Strohalm” benennen, an den sie sich allabendlich nach der Arbeit klammern. Betritt man diese Lokalität zwischen elf und zwölf findet man hier keine Touristen. Hier sitze an den Tischen verteilt die Kellner aus dem Hotel ‘Haus am Meer’, die Köche des ‘Jagdhaus Eiden’ und die Azubis diverser anderer Betriebe aus der Gegend. Da ihre Tage oft spät beginnen, verbringen sie ihren Feierabend im einzigen Lokal des Ortes, dass um diese Zeit noch auf hat. Und der ‘Strohhalm’ gewährt ihnen allen Zuflucht. Sie kennen sich, schimpfen über bescheuerte Gäste, inkompetente Kollegen und den alltäglichen Wahnsinn, dem man in der Gastronomie so ausgesetzt ist.* Hier merkt man auf einmal nichts mehr von der Altersstruktur des Kurortes. Es fällt einzig auf, dass es diese Menschen nicht nach Hause in die Betten zu ziehen scheint. Was meinen Tagsrythmus völlig aus dem Gleichgewicht wirft, ist normal für jemanden der erst am nächsten Nachmittag wieder zur Spätschicht muss. Und so ist der ‘Strohhalm’ nicht nur ein Rettungsanker, sondern ein Ort pulsierenden Lebens.
Als ich nach drei schönen Tagen voller Wind, Unternehmungen (Sushi in Oldenburg, Fahradtour um das Zwischenahner Meer, Casinobesuch ohne Verluste aber auch ohne Gewinne) wieder abreise, nehme ich Abschied von meiner Schwester und ihrem Freund, die mir mit viel herzlicher Gastfreundschaft meinen Aufenthalt sehr angenehm gemacht haben. Und ich verabschiede mich von vier weißen Tauben, die immer vor dem Haus, in dem die zwei wohnen, hocken. Vier Friedenssymbole – und das zurecht, denn ein friedliches Örtchen ist Bad Zwischenahn tatsächlich.
* Und ich weiß, wovon ich spreche, da ich ja auch eine Ausbildung in der Gastronomie gemacht habe.
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