Lektion zum Thema “Liebeserklärung”
Als Bischof Valentin von Terni im dritten Jahrhundert n. Chr. seinen Kopf gegen einen Kalendertag mit seinem Namen eingetauscht hat, war ihm nicht bewusst, welche Berühmtheit er noch erlangen würde. Eine zweifelhafte Berühmtheit, weiß doch niemand mehr wirklich, wer er war und warum er sterben musste. Allein sein Name ist unvergessen, da er als neuzeitliches Symbol für Romantik und Liebesschwüre gilt.
Die Liebe ist etwas Wunderbares. Als das größte, schönste und reinste aller Gefühle, tritt sie immer mit Gefolge auf. Unter diesem ist auf einer Skala zwischen Hass, Freude, Neid, Gier, Glück, Wut und Euphorie wirklich alles vertreten. Und man sollte sie feiern, sie hat es verdient. Man sollte den Menschen, die man liebt sagen, dass das so ist. Aber manchmal, nur manchmal, sollte man kurz darüber nachdenken, wann und wo man es tut. Warum das so ist, wurde mir kürzlich deutlich vor Augen geführt:
Kennt ihr diese Großraumsaunen in Fitnessstudios oder öffentlichen Bädern? Wo man zwischen lauter anderen nackten Menschen schwitzt. Lauter Körper sieht, die mehr oder weniger ästhetisch sind, was aber auch keine allzu große Rolle spielt, denn schon bald zerrinnen alle Gedanken mit dem Schweiß auf der Haut. Schon konzentriert man sich nur noch auf die heiße Luft, die sich brennend und schwer von würzigen Aromen (im Idealfall) ihren Weg in die Lungen bahnt. Einatmen, ausatmen, wieder einatmen – ein wenig noch, einen Moment, einen Schweißtropfen lang hältst du es noch aus, bevor die Hitze zu viel wird. Längst sind die Menschen drum herum egal, das Wummern des eigenen Herzschlags wird so laut, dass man überlegt, ob der Nachbar es wohl auch hören kann, aber das ist ja auch eigentlich gerade unwichtig geworden.
Diesen Zustand habe ich allerdings noch nicht erreicht, als eine Frau und ein Mann die Sauna betreten, grußlos. Offensichtlich ein Paar, beide über fünfzig und eher der weniger ästhetischen Kategorie zuzuordnen. Gut das ist geraten, ohne Brille kann ich das höchstens erahnen, wofür ich bisweilen aber dankbar bin. Es ist relativ voll, sie quetschen sich auf die oberste Bank, eng nebeneinander. Händchenhaltend. Das fällt mir auf, weil es ungewöhnlich ist. Saunen sind aufgrund ihrer Konzeption – nackte, oft fremde Menschen hocken schwitzend und teilweise recht eng beieinander – schon ein Ort, der Intimität zwangsverordnet. Wie im Fahrstuhl gleicht man diese durch gleichgültige Gesichtsausdrücke, das Vermeiden von Blickkontakt und oft auch Schweigen aus. Jedes private Gespräch verstärkt die Intimität der Situation und ist daher möglichst zu unterlassen. Es sei denn, man ist exhibitionistisch veranlagt. Es gibt ja Menschen, die sind Gesprächsexhibitionisten. Umso mehr unfreiwillige Zuhörer, umso lauter und detailverliebter das private Gespäch, aber das ist ein anderes Thema, von dem ich vielleicht ein andermal erzählen will.
Dann gehen ein paar, es gibt mehr Platz. Wir sind jetzt noch zu fünft. Der Mann nutzt den entstehenden Platz zur Neupositionierung. Er legt sich hin. Aber er hat offensichtlich eine Abneigung gegen die hölzernen Kopfstützen, was ich nachvollziehen kann, stattdessen betet er seine Kopf auf ihren Oberschenkel. Sein dunkles Haar liegt in ihrem Schoß und ich beobachte mit einer Mischung aus Faszination und Grauen, wie sie ihm immer wieder zärtlich durch die Haare streichelt. Inwzischen rinnt mir der Schweiß am ganzen Körper herab und ich blicke auf meine schweißnassen Hände. Stelle mir ihre nassen Hände vor, wie sie klebrig durch sein Haar pflügen. Erahne den verliebten Blick der beiden. Und möchte von noch mehr Intimität verschont bleiben. Doch sie kennt keine Gnade. Mitten hinein in die fichtennadelgeschwängerte Luft flüstert sie es: “Ich liebe dich!” Zärtlich und doch als Statement hängt der Satz in der Luft zwischen ihr und ihm und uns, den drei Unbeteiligten. Ich kann keine Reaktion seinerseits ausmachen. Ich beobachte einen Schweißtropfen, der von meiner Nase auf das Handtuch zwischen meine Beine fällt. Ich glaube ihn fallen hören zu können, die Stille ist fast erdrückend geworden. Immer noch hängt da der Satz, so ohne Erwiderung. Ein völlig deplaziertes Stück Intimität.
Und ich frage mich, ob sie Zeugen wollte, kann aber nicht finden, dass ich oder gar der Typ mir schräg gegenüber das geeignete Publikum wären. Der ist übrigens auch ein kleiner Exhibitionist, wie er so auf der Seite liegt. Ein Bein rechtwinklig aufgestellt, das andere rechtwinklig liegend, wie eine Einladung zur genaueren Betrachtung. Ein Poser, sich der wohldefinierten Muskeln (die ich nur erahnen kann – Brille …) wohlbewusst. Ich frage mich, warum der Mann nicht antwortet und ob er antworten sollte. Und dann vergesse ich, was ich gedacht habe, höre nur noch meinen Atem. Gleich, nur einen Moment noch, die kalte Dusche … ein letzter Atemzug. Aufstehen, raus. Mit der Dusche spüle ich die Reste ungewollter Intimität von meiner Haut in die Kanalisation, den Weg allen Unrats.
Und denke noch, du solltest darüber schreiben, warum Liebeserklärungen nicht überall und zu jederzeit sinnvoll sind.
14/02/2014 — 22:57
…also wir liegen immer noch unter dem Tisch und können vor lauter Lachen kaum Luft kriegen ( fast wie in den lezten Minuten in der Sauna). …einfach herrlich!!!!!!!!!!!!!diese Beobachtungsgabe und
deren Umsetzung aufs Papier
Fans aus der Südheide
15/02/2014 — 10:18
Der Autor errötet, schweigt und freut sich
22/03/2014 — 17:45
ein schöner Text … nein, eigentlich ein sehr schöner Text.