Er sei der, der die “Rolle des Arschlochs” übernimmt, stellt sich Spiegelredakteur Alexander Neubacher den versammelten Studenten der Vorlesung “Öko-verse Theorien” vor. Wie recht er hat, wird in den folgenden 90 Minuten schnell deutlich. Der Hörsaal ist im Vergleich zur letzten Veranstaltung deutlich voller und nicht wenigen scheint sein Buch “Ökofimmel” bekannt zu sein, ich gehöre nicht dazu.
Er polemisiert, argumentiert und erklärt. Er stellt Fragen und veruteilt, Schlagworte reihen sich an überspitzte Pointen. Er entwirft ein Bild unseres Landes und unseres Zeitgeists, in dem sich manch einer gespiegelt fühlen wird.
Glauben Sie auch an die Wiedergeburt des Joghurtbechers, der doch eigentlich thermisch verwertet (verbrannt) wird?
Denken Sie ebenfalls Biosprit sei gut für die Umwelt?
Benutzen Sie die Begriffe ‘Öko’ und ‘Bio’ ebenfalls synonym?
Ist es wirklich besser jetzt den eingelagerten Bioapfel vom letzten Herbst zu kaufen, statt den konventionellen aus Neuseeland? (aus ökologischer Perspektive)
Müssen wir in Deutschland wirklich Wassersparen? Mal davon abgesehen, dass das gut für den eigenen Geldbeutel ist?!
In erster Linie kritisiert er die Umweltpolitik, die sich in den letzten Jahrzenten eine “Ökopleite” nach der anderen leistet. Warum ist das so, warum rennen alle, wenn es um ökologische Themen geht sofort blind drauflos? Er macht dafür maßgeblich zwei Dinge verantwortlich:
1. Ökologie und Umweltschutz ist zumeist eine Glaubensfrage. Sie wird gleichsam zu einer Art Ersatzreligion, was sich an den damit verbundenen Begrifflichkeiten wie ‘Sinflut, Apokalypse, Umweltengel’ leicht zeigen lässt. Wer auf der Seite der Umwelt steht ist also moralisch auf der guten Seite und damit per se im Recht. Allein die gute Absicht macht immun gegen Kritik, als ob es nicht tausende von Beispielen dafür gäbe, dass Menschen aus den richtigen Gründen das falsche tun.
2. Deutsche Gründlichkeit, die dazu führt, dass seit Entstehung des Umweltministeriums Gesetze und Behörden noch und nöcher entstanden sind, die uns bis zur Erstickung verwalten und ein kleinen Stellschräubchen drehen, deren Wirkung dann entweder verpufft oder sogar das Gegenteil des Gewünschten bewirkt.
Herr Neubacher, der sich neben dem “Arschloch” auch noch als Mann vom Prenzlauer Berg mit vier Kindern und fünf Mülltonnen charakterisiert, gibt an selbst überzeugter Umweltschützer und Bioladenkäufer zu sein. Er möchte nur aufrütteln und die Menschen dazu bringen, ihre festgefahrenen Rituale zu überdenken. Wir sollten nicht nur symbolisch handeln, um unser schlechtes Gewissen zu beruhigen. Lösungen bietet er allerdings nicht viele an. Wenn es nichts bringt den Stromanbieter zu wechseln, dann ist die einzige Lösung das Aufkaufen von CO2-Zertifikaten (an der Börse gehandelt), das ist allerdings für Privatpersonen nicht so ganz einfach.
Der Spiegelredakteur geht von einem positiven Menschenbild aus. Er möchte weder den Kapitalismus noch den Fortschritt verdammen und sieht in letzterem unsere große Chance alle Umweltprobleme von heute in der Zukunft zu lösen. Und vor allem mag er keine dogmatischen Umweltschützer, Menschen, die anderen diktieren wollen, was richtig und was falsch ist und die sich über andere moralisch erheben. Er wehrt sich gegen jede Art der Ökodiktatur.
Mit dem herausfordernden Satz: “Wer schütz die Umwelt vor den Umweltschützern?” schließt er seinen Vortrag und lädt zu Diskussion ein. Er weiß, dass er provoziert und er weiß auch, dass vielen nicht unbedingt gefällt, wie er was darstellt. Etliche der studentischen Wortmeldungen zeigen dies nur zu deutlich.
So werfen sie ihm mehr oder weniger wortgewandt und wütend vor, er würde die Ökobewegung generell schlecht finden (habe ich so nicht herausgehört), er würde die positiven Seiten der Biobewegung einfach unterschlagen (?) und er würde den Ökogegnern in die Hände spielen (vielleicht, aber wir haben schließlich Meinungsfreiheit in disem Land, oder?).
Einige scheinen vor allem darüber erbost zu sein, dass all das, was sie in ihrem Alltag machen, was jeder einzelne tun kann, nicht anerkannt wird. An dieser Stelle versucht Herr Neubacher die Studenten zu beruhigen und erklärt ihnen, dass er die “Graßwurzelbewegung” (das Fußvolk der Umweltschützer) sogar sehr gut findet. Seine Kritik richtet sich vor allem auch gegen die politischen Instrumente.
Die Spannung im Hörsaal ist trotzdem greifbar und ich habe wirklich noch nie im Anschluss an irgendeine Vorlesung so eine lebhafte Diskussion erlebt. Mir persönlich hat es Spaß gemacht. Ich habe noch nie verstanden, warum so viele Menschen ihre Meinung zu Themen wie Ökologie und Wirtschaft zum Teil auch Politik immer wie Glaubensfragen vertreten müssen. Ich dachte immer in einer aufgeklärten Gesellschaft ist das in Frage stellen, das Zweifeln und Überlegen nicht nur erwünscht sondern gewollt.
Aber ich kann viele der aufgebrachten Studenten natürlich auch verstehen. Es hinerlässt ein schales Gefühl, wenn man gesagt bekommt: “vieles von dem, was du da tust, ist nicht hilfreich”, vor allem, wenn man sich doch wirklich Mühe geben will. Wenn man wirklich glaubt, damit etwas zu verändern und nicht nur “Greenwashing” für sein eigenes Leben betreibt. Und wenn der Berg der aufgeworfenen Fragen um so viel höher ist, als die paar Antworten, die zur Verfügung stehen, dann steht man nach jede Menge Aufklärung am Ende ein wenig ratlos da.
Auf der anderen Seite steht ja auch am Anfang jeder guten wissenschaftlichen Arbeit die Frage. Ohne die richtigen Fragen sind wir nicht in der Lage die Antworten zu suchen geschweige denn zu finden. Seien wir also nicht verärgert, sondern bleiben aufmerksam und neugierig und machen uns auf die Suche:
nach Antworten!
Wer was dazu sagt: