Es ist ein ekelhaft verregneter Junitag. Ältere Menschen behaupten, dass es sich um die Schafskälte handelt. Tatsächlich sind die Temperaturen seit letzter Woche von zu-heiß-zum-Schlafen auf lange-Hosen-mit-Jacke-und-Schirm-Wetter gesunken. Ich bin froh im Bus zu sitzen, denn der Himmel öffnet gerade die Schleusen ein wenig weiter und meine Schuhe sind nur bedingt wasserfest. Der Bus ist relativ leer, es ist keine Stoßzeit, ich bin mitten zwischen den Vorlesungen unterwegs. Mir schräg gegenüber sitzt ein großer Blondschopf, der eben vor mir in den Bus gestiegen ist. Dass er ein paar Jahre jünger ist als ich, schließe ich aus den sorgfältig in der Mitte hochgegelten Haaren. Er trägt statt einer Jacke nur einen blauen Pullover und grau-blaue Shorts. Die für Studenten typische Umhängetasche liegt auf seinem Schoß. Ein wenig resigniert betrachte ich den Rucksack, der auf meinem Schoß liegt. Irgendwie sollte man ab einem gewissen Alter nicht mehr jeden Tag mit Rucksack herumlaufen. Aber es gibt halt kaum etwas Praktischeres und einseitige Umhängetaschen mag ich nur dann, wenn mich das Gewicht nicht stört. Leider ist das Gewicht einer 1,5 l Wasserflasche immer störend. Egal was man sonst noch so bei sich trägt.

Der Blondschopf starrt aus dem Fenster in den Regen. Sein Gesicht gefällt mir, doch ich versuche ihn nicht allzu sehr anzustarren. Noch fünf Stationen und der Bus füllt sich. Mein Betrachtungsgegenstand kramt in seiner Tasche und klemmt sich etwas weißes zwischen die Lippen. Anschließen holt er ein Tabakblättchen aus seiner Tasche und rollt es schon einmal vorsichtig. Er fischt den Tabak heraus und beginnt vorsichtig seine Zigarette zu drehen. Er scheint völlig konzentriert und entspannt bei der Sache zu sein, der weiße Filter klemmt immer noch zwischen seinen Lippen. Immer noch versuche ich ihn nicht allzu sehr zu fixieren. Der Bus hält, jemand setzt sich neben ihn und beeinträchtigt meine Sicht auf den Zigarettendreher. Als er das Filterpapier mit der Zungenspitze befeuchtet, versuche ich nicht mehr nicht zu starren. Sorgfältig begutachtet er die fertige Zigarette und klemmt sie sich vorsichtig hinter das rechte Ohr. Dann erst schaut sich um, wie umherauszufinden, wo er sich befindet. Der Bus hält, er steigt aus. Ein wenig verwirrt beobachte ich, wie die Bustüren sich wieder schließen.

Zwei Stationen später steige auch ich aus. Zügig laufe ich durch den Regen in Richtung Fakultätsgebäude und versuche im Gehen den kribbeligen Eindruck, den diese Beobachtung hinterlassen hat, abzuschütteln. Es gelingt mir nur zum Teil. Vielleicht sollte ich mit meinem Liebsten heute Abend Zigaretten drehen üben? Wir müssen sie ja schließlich nicht rauchen…