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“Genau!” oder 180 Minuten Literatur mit Zusatzpaket

Als ich noch zum Gymnasium ging, habe ich Ähnliches schon einmal erlebt. Ein Lehrer, der Referate verteilt und dann dem Referenten permanent ins Wort fällt. Natürlich kann und sollte man bei ganz gravierenden Problemen eingreifen. Aber unser Literaturdozent, den ich vor zwei Wochen noch gelobt habe, redet offensichtlich so gerne, dass er Referate für unerträglich hält.

Schon bei Folie zwei im ersten Vortrag sprang er auf und schmetterte “Genau!” durch den Raum. Dies allerdings nicht als Zeichen der Zustimmung, sondern weil die Referentin seiner Meinung nach zu lange bei einem aus seiner Sicht irrelevanten Thema verharrt hat. Danach stieg er in die Diskussion mit ein, fragte hin und wieder mal den Rest der Seminarteilnehmer nach Informationen und redete ansonsten selbst. Die Referentin des ersten Vortrags (90 Minuten) schaffte drei (!) Folien ihrer Präsentation. Vorwiegend stand sie dekorativ vorne im Raum. Setzte sie doch noch einmal an wurde sie “Genau!” unterbrochen und unser Dozent verkündete wieder lautstark seine Meinung. Nebenher diskreditierte er noch unstudierte Theatergänger: “Nehmen Sie mal jemanden, der nicht Germanistik studiert hat – auch solche Leute dürfen ja ins Theater. Ist zwar Schade, aber sie dürfen!” ereiferte er sich. Mit einem Augenzwinkern zwar, aber trotzdem.

In der zweiten Doppelstunde bestand das Referantenteam zu den “Leiden des jungen Werther” aus zwei Studentinnen. Eine davon hat sich das Rederecht merhmals zurückerkämpft. Allerdings nie lange.

Nach 180 Minuten “Werther” und “Götz” und jede Menge “Genau!” habe ich mich wie überfahren gefühlt und war nicht unbedingt begeistert, als er die Referenten für die nächsten zwei Doppelstunden, zu denen auch Lena und ich gehören, noch in seiner anschließenden Sprechstunde sehen wollte. Das ging dann aber recht zugüg, wobei es auch kein Gespräch sondern ein Monolog seinerseits war. Lenas und mein Beitrag bestand aus nicken, mitschreiben und mehreren  “mhm” in größeren Abständen. Da er uns Vorgehen, Literatur und Gliederung diktierte, gab es auch nichts, wozu man hätte Fragen stellen können…

Genau!

Ansonsten bin ich sicher, dass ich auf dieses arme kleine Wörtchen, das viele Deutsche recht inflationär benutzen (meine tschechischen Schüler hat das immer verwirrt, ich benutze es nämlich auch ganz gerne), am Ende des Semesters allergisch reagieren werden. Erste Anzeichen dafür gab es schon gestern:

Ich: “Wir sehen uns dann morgen!”

Lena: “Ge … Richtig!”

Wir mussten beide lachen, aber wir wussten auch, dass wir dieses “genau”  bald ebenso hassen werden, wie wir Phrasen anderer Dozenten zu hassen gelernt haben und nicht mehr werden vergessen können. Den Klang der Stimmen dazu haben wir immer noch im Ohr.

Categories: Gedanken zu Sprache und Sprachen, Unialltag

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2 Comments

  1. genau !
    …aber herrlich zu lesen, als wäre ich dabei gewesen. Darf ich eigentlich mal mit in eine solche Vorlesung? Dafür würde ich sogar extra anreisen. Liebe Grüße aus der Südheide

    • Ist ein Seminar, aber klar, warum nicht. Ich gehe jetzt Donnerstag immer so eine sogeanneten Umweltringvorlesung, die ist zum Beipsiel auch für alle offen (Eltern, Großeltern, Freunde, alle herzlich eingeladen). Ich bin überzeugt, wenn du wolltest könntest du dich in Braunschweig aber auch einfach in irgendwelche Univeranstlltungen reinsetzen…

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